Zurück in der Inselhauptstadt oder: Ein Blick hinter die Kulissen.

Gestern wegen Weiterfahrt, Spaziergängen, Umzug und Einrichtung am neuen Standort zu nichts mehr gekommen.
Der offizielle Part der Reise ist nun zu Ende, ab sofort sponsert niemand mehr unsere Mahlzeiten, Unterkünfte und Tankfüllungen.

Zurück in Visby.
Diesmal in einem eigenen Häuschen mit Garten. Ein Glücksfall, was Preis und Lage angeht. Denn: mein Quartier für die verbleibenden vier Tage auf der Insel liegt direkt an der mittelalterlichen Stadtmauer, in einem dieser kopfsteingepflasterten Altstadtgässchen, die von aneinandergereihten, niedrigen Häuschen gesäumt sind, eines schöner als das andere, alles unter Denkmalschutz stehend und im höchst seltenen Verkaufsfalle einzelner Objekte als eine der teuersten Wohnlagen ganz Schwedens gehandelt. Privilegierter geht es nicht!

Für das Morgengassi gehen wir nur ein paar Meter die hübsche Gasse entlang bis zu einem Durchschlupf in der Stadtmauer – und stehen dann mitten im Drehort des Vorspanns der Pippi-Langstrumpf-Filme. Nur ohne Pferd und musikalische Untermalung.

 

Und wissen Sie was? Diese Hütte treibt uns nicht mal finanziell in den Ruin, wie man es bei der Lage erwarten würde, sondern sie brachte nur etwas anfänglichen Putzirrsinn mit sich.
Wie es dazu kam?

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Vor einigen Monaten, als sich allmählich abzuzeichnen begann, dass ich im September zu sechs Tagen auf Gotland eingeladen werden würde, fasste ich sogleich den Beschluss, diesen Aufenthalt zu verlängern. Wenn man schon nochmal hierher kommt, dann soll sich das auch so richtig lohnen!

Und ich begann, mich für meine privaten Verlängerungstage auf die Suche nach einem Quartier zu machen. Sie ahnen es schon, was jetzt kommt. Genau! Es war schwierig. Oder zu teuer. Oder beides. Aus dem altbekannten Grund: Hunde unerwünscht oder nur in den abgewohnten Zimmern im modrigen Nebengebäuden erlaubt (selbstredend zum identischen Preis eines Zimmers im schönen Hauptgebäude) oder die Hundmitnahme mit einem Aufpreis versehen, der sich zwischen 250 und 350 SEK bewegt, was für 7 kg geballte Dackelschönheit einfach dreist ist.

Ich reise aber nun mal strikt nach dem Motto „Nicht ohne meinen Dackel!“, also musste ich zäh bleiben und weitersuchen. Kenne jetzt jedes Hotel, jedes Ferienhaus, jedes Bed&Breakfast und jede AirBnb-Unterkunft auf ganz Gotland. Am Schluss buchte ich relativ verzweifelt ein eigentlich viel zu teures Hotel in Visby und eine Hütte in einer Ferienanlage, in der es von Katzen nur so wimmeln würde. Um überhaupt mal etwas zu haben. Beides allerdings eine Notlösung. Beides bis kurz vor Ankunft stornierbar und das ist auch längst geschehen.

Weil mir auf einer Bergtour im Juli plötzlich eine Idee kam: Vor drei Jahren war ich mal in einer AirBnb-Unterkunft in Stockholm. Meine Gastgeberin war eine pensionierte Psychologin, mit der ich mich recht gut verstand. Ich hatte ein Zimmer in ihrer Wohnung gemietet und wir saßen ein paarmal länger in ihrer Küche zusammen. Boel ist geschieden, hat drei erwachsene Söhne und einen auf Gotland lebenden, neuen Gefährten, der zwei Häuser in Visby besitzt und eines davon manchmal auch Freunden und Familie überlässt.
Wir sprachen lange über Gotland und wie schwierig es bei meiner ersten Reise dorthin war, eine Unterkunft für mich und Pippa zu finden und sie meinte damals, hätten wir uns eher gekannt, hätte sie sofort ihren Freund gefragt, ob ich dort wohnen könne.

Ich erinnerte mich also bei meiner Bergtour an Boel und unser Gespräch und beschloss, zuhause nach ihrer Emailadresse zu suchen und sie einfach mal anzuschreiben und ihr mein Problem zu schildern (an sich hasse ich solche Anwanzereien, erst recht nach Jahren, wenn man schon ewig nicht mehr in Kontakt war). Aber in meiner wachsenden Verzweiflung, am Ende für vier Nächte in einem „preiswerten“, trostlosen Hotelzimmer rund 500€ berappen zu müssen oder 300€ für eine winzige Mitwohn(!)gelegenheit via AirBnb hinzulegen, überwand ich mich schließlich – und schickte eine Mail nach Stockholm.

Ob Sie sich an die Münchnerin erinnere, die mal bei ihr gewohnt habe, ich sei die, die mal mit Dackel auf Gotland war, wir hätten damals drüber gesprochen, und Gotland stünde nun ein zweites Mal an, und ich hätte wieder genau dieselben Probleme wie beim ersten Aufenthalt auf dieser schönen Insel (und wie überhaupt immer und überall im schönen Schweden), und da wollte ich mal vorsichtig nachfragen, ob sie immer noch ihren gotländischen Freund hätte und der auch immer noch seine beiden Häuschen in Visby…

Die Antwort kam prompt: Natürlich könne sie sich an mich erinnern, keiner ihrer AirBnb-Gäste habe Zimmer und Bad je so sauber und ordentlich hinterlassen wie ich, weshalb sie ihrem Freund Bengt meine Anfrage gleich weitergeleitet habe, mit der Anmerkung, dass sie für mich bürgen würde und er mir bedenkenlos sein kleines Häuschen überlassen könne.
Wenn man es, so wie ich, seit Jahrzehnten über sich ergehen lassen muss, als Spießer oder Pendant oder beides belächelt oder gar verspottet zu werden, nur weil man es daheim (und auch sonst) gern sauber und aufgeräumt hat, ist es wirklich ein Wohlgefühl sondergleichen, dass dieses sonst so geächtete Verhalten endlich auch mal jenseits der Eigenernte positive Früchte trägt und man eine derartige Rückmeldung erhält.

Bengt meldete sich einen Tag später und nach ein paar Emails war alles verabredet: Ich hatte eine Zusage für sein Häuschen mit Garten, für vier Tage, für einen Spottpreis inkl. Handtüchern und Bettwäsche, für Pippa wolle er nichts berechnen, meinte er, und sie dürfe sich auch nach Herzenslust im Garten vergnügen.

Letzterer ist wirklich sehr zu ihrem Vergnügen. Direkt nach Ankunft war sie eine gute Stunde damit beschäftigt, jedes der ca. fünfhundert Fallobststücke persönlich zu begrüßen, fröhlich herumzukicken oder testtweise hineinzubeißen. Ich warte schon auf den Dackeldurchfall vom Verzehr der überreifen Zwetschgen, bislang noch alles gut, vermutlich war die Rettung jene, dass unter einer Hecke ein alter Fußball zum Vorschein kam, von Bengts Enkeln, und da der eh schon kaputt war, ging er sofort in Pippas Besitz über und ist natürlich eine weitaus darmfreundlichere Spielvariante als das herumliegende Obst.

Nervig ist lediglich, dass der Hund jetzt ständig raus in den Garten will und man sie für die Mahlzeiten hereinrufen muss, die schlingt sie dann noch schneller als sonst in sich hinein und sitzt sofort wieder quengelnd vor der Tür. Also lässt man die Tür am besten gleich offen stehen.
Bengt schließt sein Haus, das auf der anderen Seite des Gartens liegt, auch nicht ab, sagte er gestern, als er uns hier herumführte und mir alles zeigte und erklärte. Es stört ihn auch nicht, wenn Pippa plötzlich zum Staubsaugen in seiner Küche aufkreuzt oder anderes Spielzeug seiner Enkel ausgräbt und verschleppt. Nun denn!

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Wir wollen hier aber nichts beschönigen. Das Glückspilz-Szenario unserer Visby-Altstadtidylle hat auch eine Schattenseite.
So ähnlich ist es ja auch manchmal, wenn man durch die Wälder streift und glückselig einen Steinpilz erspäht, der so groß und stolz dasteht in seiner bemoosten Nische und dessen Kappe so perfekt aussieht, das man fast eine Scheu dabei empfindet, dieses Gesamtkunstwerk bodennah mit dem Taschenmesser abzusäbeln und daheim in die Pfanne zu werfen (freilich in die des Gatten, denn ich selbst verabscheue Pilze, ich suche sie nur gern und der Gatte isst sie mittlerweile auch vertrauensvoll). Manches Mal aber schneidet man so einen perfekt aussehenden Steinpilz ab, hebt ihn hoch, dreht ihn um und traut seinen Augen kaum: die Unterseite ist zerfressen, der Wurm winkt einem rülpsend noch aus einem der Tunnel im Pilzinneren entgegen und zuhause hat man eine Menge Putzarbeit, um eventuell noch ein paar schöne, genießbare Stücke des Dickröhrlings zu retten.

Und so ungefähr war das hier gestern auch. Das Holzhäuschen aus dem 17. Jahrhundert strahlte mir in der Nachmittagssonne entgegen, die Rosen räkelten sich links und rechts neben dem Eingang in der Spätsommerwärme, im Garten stehend guckte ich dem glücklichen Fräulein beim Obstfußball zu, ostwärts lugte einer Befestigungstürme der Stadtmauer über den hölzernen Gartenzaun, im Westen ragten die Spitzen der nahegelegenen Kathedrale hervor, die Kirchenuhr schlug gerade viermal und mahnte zum zweiten Hundefressnapf des Tages, ich stieg auf die Sprossen der Leiter, die am Zwetschenbaum lehnte und konnte von dort aus – Visby hat Hanglage – sogar zum Meer hinuntersehen.
Jetzt bin ich im Paradies gelandet!, so dachte ich. Und dann öffnete ich die knarzende Holztür zu meinem neuen Zuhause – und sah dort quasi die Unterseite des Glückspilzparadiesszenarios.

Sauberkeit ist nämlich des Schweden Sache nicht, wie ich auch auf all meinen vorherigen Schwedenfahrten feststellen durfte. Da müssen Sie schon in die 4-Sterne-Kategorie abheben, und wenn Sie länger als ein Wochenende unterwegs sein wollen und danach noch ihre Münchner Miete weiterbezahlen können möchten, wird das schwierig.

In Ferienwohnungen, -häusern und den „günstigeren“ Hotels bis 140€ pro Nacht und Nase sollten Sie sich keinesfalls grämen, wenn das vor Ihrer Buchung im Netz besichtigte und für schön befundene Bildmaterial vor Ort dann nicht den erwarteten Tatsachen entspricht.
Das abgebildete Zimmer und auch das Sofa ist zwar dasselbe wie auf dem Foto, auch das Bad oder die Küche wurden nicht heimlich zwischen Ihrer Buchung und Ankunft umgebaut, aber wundern Sie sich eben nicht über den konkreten, realen Zustand der Räume und des Mobiliars und auch nicht über die Marmeladenreste Ihres Vorgängers auf dem Stuhl oder die Haare des vor drei Jahren verstorbenen Katers auf der Couch und bitte sowieso nicht über die überall abgestoßenen Fußbodenleisten, die speckigen Läufer und eine dicke Patina gelebten Lebens all over the accomodation.

Der Schwede hat zwar durchaus Geschmack und ein Händchen für Einrichtung und Dekoration, aber mit der Pflege dieser Dinge und einer gewissen Grundsauberkeit hat er’s gar nicht.

(Erlauben Sie mir an dieser Stelle, noch kurz die Sache mit den fehlenden Vorhängen in den meisten schwedischen Häusern zu erläutern: der Schwede, resp. die Schwedin!, dekoriert gern die Fensterbank mit ein paar Objekten, stellt dann ein Lämpchen daneben, das mit Anbruch der Dämmerung eingeschaltet wird, um die Exponate und einen Teil des Raumes zu illuminieren. Die Haltung dahinter ist nun keinesfalls ein „Hey, schaut her Leute, wie hübsch ich meine Bude dekoriert habe!“, denn der Schwede ist größtenteils ein recht dezenter und zurückhaltender Zeitgenosse, sondern eher ein „Hier könnt ihr ruhig reingucken, ich hab nix zu verbergen!“. Mir persönlich gefällt das durchaus, wenn man so durchs nächtliche Städtchen spaziert und durch all die nicht verrammelten Fenster warmes Licht in die dunklen Gassen fällt und man weiter hinten in den Wohnräumen gelegentlich auch die Bewohner dieser Hütten sieht – beim Lesen im Sessel, beim Abwaschen in der Küche, beim Disput mit dem Partner, beim Zusammensitzen mit Freunden, beim ganz gewöhnlichen Leben eben.)

Zurück zur Sauberkeit.
Man streift sich also zwar skandinavienweit grundsätzlich das Schuhwerk vor der Haustür von den Füßen – eine Sitte, die ich sehr begrüße, und nicht auszudenken, wie es erst aussähe, wenn nicht mal das Usus wäre! -, aber das war’s auch schon mit der Reinlichkeitsprophylaxe.
Ein ursprünglich weißer Badvorleger (nicht der glatte à la Toftbo, sondern eher ein flauschigerer à la Skön) steht schon mal locker einen kompletten Sommer durch und landet möglicherweise erst, wenn er so grau ist wie der Novemberregen in der Trommel.
Das Abwischen von Tischen und Küchenarbeitsplatten lohnt auch erst dann, wenn die Klebschicht nicht mehr der Arretierung von Tellern, Schneidebrettern, Gesellschaftsspielen und Laptops dienlich ist, sondern diese Gegenstände dauerhaft zu fixieren droht.
Die kreative Fischsilhouette, die Klein-Olof in seinen allerersten Sommerferien, in denen er aufrecht stehen konnte, mit seinem softeisverschmierten Fingerchen auf den Spiegel im Flur gemalt hat, ist ebenfalls unbedingt erhaltenswert, bis Klein-Olof groß ist und mit seinen eigenen kleinen Olofs zur Ferienzeit in die (groß-)elterliche Stuga zurückkehrt.
Dicken Eisschichten im Kühlschrank kann auch mit dem Erwerb eines günstigen und dauerbrummenden Zweitkühlschranks begegnet werden.
Einen Besen kann man auch dazu nutzen, um ihn so geschickt in die Lücke zwischen Heizkörper und Sofakante zu klemmen, dass der Wollmaus, die ja gern unter Heizkörpern oder Sitzmöbeln lebt, auf diese bestechend einfache Weise der Zugang ins Rauminnere verwehrt wird.
Und ob sie es wagen wird, sich an der mit Wäschklammern am Stehlampenfuß und der Vorhangstange befestigten Verlegung eines TV-Antennenkabels aus ihrem Versteck hervorzuhangeln, darf dann doch bezweifelt werden!

In jedem Schweden steckt ein Stück Ingvar Kamprad, das ihn zum Meister der Bastelei, der Improvisation, des Zusammenschusterns und des schönen Scheins befähigt, denn all das Angeschmuddelte und die Behelfskonstrukte sehen Sie zumeist nicht auf den ersten Blick, sondern erst, wenn das Sonnenlicht oder der ungnädige Strahl eines Halogenspots darauf fallen und die Dinge so zeigen, wie sie eben wirklich sind: verstaubt, vergilbt, verklebt, verranzt, vernachlässigt und vergessen.

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Nun kennen Sie den wahren Grund, weshalb Sie hier gestern nichts mehr zu lesen bekamen. Ich habe abends geputzt (das Bad, die Küchennische, die Sitzflächen der Stühle, die Tischoberfläche und alle Küchenutensilien sowie das Geschirr, das ich zu verwenden gedenke) oder meine persönlichen Behelfskonstruktionen über den vorhandenen Behelfskonstruktionen errichtet, um mir hier drin für die nächsten Tage zu behelfen.

Am Einfachsten wird es funktionieren, wenn das Wetter uns weiterhin so hold ist wie in den bisherigen 11 Reisetagen und wir uns hier sowieso überwiegend zum Frühstücken, Ausflügeplanen, Duschen und Schlafen aufhalten – oder eben im Garten sitzen und die salzige Meeresluft, die von der Küste heraufweht, die über Nacht entstandene Staublunge wieder gründlich freipustet.

Haben Sie ein schönes Wochenende und seien Sie herzlich gegrüßt aus Visby!

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Svenska smak.

Man hatte mir mit Nachdruck aufgetragen, dieses gotländische Nationalgericht zu probieren:

Unter Saffranspannkaka hatte ich mir was Dünneres/Flacheres/Größeres vorgestellt.

Salmbärssylt & Grädde, also Kratzbeermarmelade & Sahne, die entsprachen hingegen meiner Vorstellung.

Nur nicht in dem absurden Mengenverhältnis im Vergleich zu dem Saffranspannkaka. Erst recht nicht mehr, nachdem ich gegoogelt hatte, aus was dieser angebliche Pfannkuchen besteht.

Himmel!

Die neu gewonnenene Erkenntnis sofort mit einem großen Glas Hallon Soda runtergespült, das ist eine pappsüße Himbeerlimo.

Damit ist nun alles gut verklebt bis zum Abendessen und bis dahin wird sich ausgiebig bewegt.

Vom Alleinreisen. Ein Prolog.

Wie bitte, du verreist schon wieder allein?
Dann hast du ja unterwegs gar niemanden zum Reden und Teilen der Eindrücke!
Oh Gott, du fährst die ganze Strecke allein mit dem Auto?
Und das auch noch ohne Navi, um Himmels Willen!
Was, du hast ein einsames Holzhäuschen gemietet?
Das kann aber doch sehr gefährlich sein!
Und was machst du bloß, wenn du krank wirst oder dem Hund oder dem Auto etwas passiert?

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Fragen über Fragen, die einem gestellt werden, wenn man mitteilt, dass man „schon wieder“ allein nach Schweden fährt. Na gut, nicht ganz allein, sondern wie immer mit dem Dackelfräulein an Bord, aber das scheint für die besorgten Frager unerheblich zu sein.

Hier nun die gesammelten Antworten:

1. Ja, ich verreise schon wieder allein. Nein, das bereitet mir keinerlei Ängste. Im Gegenteil. Ich bin gern allein. Das war schon in der Kindheit so. Einsam bin ich allerdings nicht gern, leider war ich das als Kind manchmal, später dann aber nicht mehr.

2. Obwohl ich gern kommuniziere, brauche ich nicht dauernd jemanden zum Reden und ich kann Eindrücke auch gut alleine verarbeiten. Oder ich rufe zuhause an. Oder blogge. Nach ca. 14 Tagen Alleinsein beginne ich erfahrungsgemäß etwas häufiger mit dem Hund zu reden. Das funktioniert erstaunlich gut. Sie wissen ja, vor allem, wenn Sie selbst einen Hund haben: der eigene Hund, der versteht jedes Wort (außer Nein und Pfui). Zudem erspürt er jede Stimmung, manchmal sogar noch bevor man sie selbst wahrnimmt. Was man von Menschen wirklich nicht oft behaupten kann.

3. Aus organisatorischen Gründen (Hund, Zwischenstopps, Flexibilität etc.) muss ich mit dem Auto fahren, und obwohl ich nicht mehr so gern fahre wie früher, stört es mich auch nicht weiter, so lange ich nicht im Stau stehen oder auf einer Autofähre in 15 Sekunden zwischen zwei Säulen in eine engen Lücke rückwärts einparken muss.

4. Bislang bin ich wunderbar ohne ein Navi überall hingekommen, wo ich hinwollte und das wird mir hoffentlich auch weiterhin gelingen. Ich liebe Landkarten und präge mir die Strecken ein, bevor ich losfahre, das trainiert das Hirn und das Orientierungsvermögen. Und für Notfälle wie den einen, den es vor fünf Jahren mal nachts bei Regen in Malmö gab, hat man ja GoogleMaps.

5. In einsamen Holzhäuschen (und auch sonst überall) nehme ich meinen furchtlosen kleinen Löwen mit ins Bett, und falls je ein Schurke daherkäme, würde der in tausend Stücke gerissen werden, so wie auch jede Stubenfliege dran glauben muss, die sich in unser Schlafgemach verirrt. Die Kriminalitätsrate auf Gotland geht zudem gegen Null. Auf dem Land lassen die Menschen nach wie vor ihre Türen unverschlossen, was lediglich Drehbuchautoren zu Morden inspiriert.

6. Mit Krankheiten und anderen Pannen beschäftige ich mich grundsätzlich erst dann, wenn die Situation eintritt. Wir haben 10 Medikamente dabei (7 für mich, 3 für die Hundedame), Pflaster, Pinzette und Zeckenzange (und für größere Operationen eine Stirnlampe, ein Schweizer Taschenmesser und Betaisodona-Tinktur), eine Auslandskrankenversicherungskarte und eine Nummer zur Hotline für die Mobiliätsgarantie unseres Autoherstellers (Instandsetzung binnen vier Stunden, ansonsten Ersatzwagen, so zumindest das Versprechen). Das wird im Falle des Falles schon reichen. Und ansonsten findet sich bestimmt ein netter Schwede mit großem Volvo, der uns und unsere Siebensachen mitnimmt (was ein typisches Intro abgäbe für eine dieser skandinavischen Serien à la „Lund“ oder „Die Brücke“).

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Um das Alleinreisen ranken sich ja zahlreiche Klischees. Eines der beliebtesten ist, dass man das täte, um sich selbst zu finden. Das klingt so, als hätte man sich im Alltag aus Versehen verlegt oder gedankenlos verräumt oder gar völlig verloren. Mag sein, dass manche deshalb allein aufbrechen, um nach sich zu suchen oder sich zu finden oder sich völlig neu zu (er)finden. Auf mich trifft das nicht zu.

Ich reise vor allem deshalb gern allein, weil ich das Einfache und Kompromisslose daran mag. Bei niemandem für eine Unternehmung werben müssen, nur weil ich die unbedingt machen möchte, sich hinsichtlich der Essenszeiten nicht abstimmen müssen, Aufstehen und Aufbrechen, wann man möchte oder spontan alle Pläne wieder ändern und was ganz Anderes machen – oder auch gar nichts. Idiotische Dinge zwischendurch einfach tun können (wie z.B. mitten auf einer Fahrt von A nach B vor dem Landregen in ein Schwimmbad flüchten oder einen ganzen Abend lang im Hotelbett Liebesschnulzen auf DVD angucken), ohne Anfrage, Absprache, Entschuldigung oder das Risiko, jemanden zu verärgern. Und sich auch nicht mit den idiotischen Anwandlungen anderer auseinandersetzen zu müssen.

Leben, Zusammenleben, Arbeit und Alltag funktionieren nur auf Basis von vielen Kompromissen und nahezu täglich muss man fähig sein, diese auch zu schließen. Umso wohltuender ist es, ab und an ein paar Stunden, Tage oder Wochen mal ganz dem eigenen Rhythmus zu folgen und in ungetrübter Selbstbezogenheit ausschließlich nach der eigenen Pfeife zu tanzen.

Mir ist es also beim Alleinreisen nicht darum zu tun, mich zu suchen oder zu finden, weil ich mir abhanden gekommen wäre, sondern ich möchte einfach nur gern etwas Zeit mit mir verbringen. Und zwar mit mir, genau so wie ich eben grad bin – und nicht in einer besseren, zurechtgeurlaubten, sozialkompatiblen und kompromissbereiten Variante meiner selbst, sondern in einer ganz gewöhnlichen Version meiner selbst.

Gelegentlich gerate ich zwar, wenn ich so allein unterwegs bin, in Situationen, die es erfordern, dass ich sozusagen ein wenig an mir herumbasteln muss, mich ausprobieren oder bewähren muss, weil die Szenarien unbekannte sind und Improvisation angesagt ist.

Dieses Ganz-auf-sich-Gestelltsein, das das komplizenlose Unterwegssein zwangsläufig mit sich bringt, ist nicht immer angenehm, gleichwohl ist es lehrreich und spannend. Weil ich mir dadurch noch vertrauter werde und weil mir diese Entdeckungen noch mehr Sicherheit und Auskunft darüber geben können, wer ich bin und was ich kann. Weil ich z.B. feststelle, dass ich gar nicht so ein Morgenmuffel bin wie ich dachte und plötzlich spielend leicht früh aus dem Bett komme, was in skandinavischen Ländern aber auch den grauenhaften Matratzen geschuldet sein könnte. Oder dass ein Tag ohne Kaffee sehr wohl möglich ist, ebenso ein Leben aus dem Koffer oder den Klappkisten und sogar auf engstem Raum. Oder dass ich in der Lage bin, den Dorn auch ganz allein aus der Hundepfote zu entfernen, wenn es denn sein muss. Oder entdecke, wie viele Ideen ich auf einmal habe und wie viel Lust, mir Neues anzusehen und mich einfach durch die Fremde treiben zu lassen. Wie viel Neugier da doch in mir ist, die ich im Alltag oft gar nicht so deutlich bemerke, weil drumherum eben alles so vertraut ist. Und ich freue mich auf Reisen immer wieder darüber, wie wenig ich an manchen Tagen „brauche“ (an Input, Kontakt, Essen, Aktivitäten, Konsum etc.), um abends sagen zu können: Das war ein verdammt toller Tag!

Genauso stelle ich aber fest, wie blöd es ist, wenn man niemanden hat, mit dem man Geplantes oder Erlebtes, Schönes oder Schwieriges ad hoc besprechen und Lustiges oder Trauriges sofort teilen kann. Oder den man anmaulen kann, wenn der Tag überhaupt kein guter war, was eigentlich auf jeder längeren Reise mal der Fall ist. Es ist doof, wenn keiner da ist, dem man die Schuld für die erfolglose Suche nach einem Lokal und den Granatenhunger, der daraus resultiert und einem die Laune dann total versaut, in die Schuhe schieben kann.
Für jedes Missgeschick, jeden Defekt, jede Vergesslichkeit und jeden Hundedurchfall allein die Verantwortung tragen zu müssen, das ist einfach nur unangenehm und manchmal sogar richtig beschissen.

Dennoch war es jedesmal eine gute Erfahrung für mich, allein unterwegs zu sein, es macht mir überwiegend Freude, mich bei Solo-Touren durch fremde Gefilde besser kennenzulernen. Ohne Gesellschaft und permanenten Vertrauenspuffer im Gepäck bzw. auf dem Beifahrersitz funktioniert das tatsächlich besser. Zumindest für eine begrenzte Zeit.

Nach ein paar Wochen will ich dann ja sowieso immer wieder gern nachhause. Weil ich viel zu verwurzelt bin in meiner Heimat und sie und meine Menschen dort viel zu sehr liebe, um sie länger verlassen zu können.

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Ein großer Dank an den Gatten, dass er das alles nicht nur weiß und hinnimmt, sondern es versteht und mich machen lässt.

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