Im Werratal.

Tagesziel erreicht!

Ich fand den Namen des Gasthauses – speziell für den ersten Tag einer langen Reise – so lustig, dass ich unbedingt hier buchen musste.

Nomen est aber nicht Omen.
Preislich total ok, Zimmer überraschend schön, Essen hervorragend, Personal freundlich (lediglich verdutzt guckend, wenn man mit einem fröhlichen Grüß Gott hereinkommt), ausgesprochen hundefreundlich, zwar nah an der Bundesstraße gelegen, aber direkt neben dem Hotel ein riesiger Garten mit Fußball (!) und dahinter herrliche Wanderwege.
Haben wir sogar noch ausgenutzt, aber nun reicht’s für heute.
Müssen morgen fit sein.
Das Dackelfräulein hat ein Date mit diesem feinen Herrn.

Nicht nur Wilhelm Meisters Lehrjahre.

Zur Belohnung für Stau Nr.1 am Autobahnkreuz Biebelried (pro Richtung 1 Unfall) lange Gassipause in der ehemaligen Studienstadt.

Herrje! Die Hubland-Uni (und auch vieles andere) hätte man kaum wiedererkannt, nur das Phil-1-Gebäude noch exakt so hässlich wie 1997, als ich nach der letzten bestandenen Prüfung fürs Diplom da hinauskroch.

Am Sanderring geparkt (früher bekam man da nie einen Parkplatz), dem Dackelfräulein gezeigt, wo der Oberhund (also meine Wenigkeit) damals sein Diplomzeugnis in Empfang nahm. Gespenstisch lang her.

Beim Gassigehen im Ringpark dann an Wilhelm Meister gedacht, genauer gesagt: an dessen Lehrjahre, über die ich die Abschlussarbeit meiner Lehrjahre schrieb. Manchmal denk ich, so schlau war ich anschließend nie mehr wieder. In welchen Welten man damals wandelte! Und heute?

Würzburg bei 32 Grad ist mit Hund kein Vergnügen. Alle Schattenwege aufgesucht, die die morsche Erinnerung noch hergab. Trotzdem einen riesigen Rundgang gemacht, überall Gedenksteine, oft innegehalten, gedacht und geschaut.

Als Kind die schönsten Clogs aller Zeiten hier bekommen, als man den Papa auf einer Geschäftsreise begleitete. Im Hochsommer. Gleich angezogen und die Füße wundgelaufen.

Und all die Orte der Studentenzeit. Den Wohnort oben in Gerbrunn.

Die diversen Unigebäude. Die Ursulinergasse, wo ich mir den Julius aussuchte und im Taxi mit ihm nach Hause fuhr. Ein weiß-blauer Wellensittich. Die Kneipe, in der ich gejobbt habe. Das Brückenbäck, in dem ich mich immer mit J. traf. Das Sternbäck, wo es die guten Ofenkartoffeln gab. Und zum Abschluss noch einen Slush-Cooler (nie zuvor gehört, den Begriff, man ist eben alt und nicht mehr up to date) in dem Café, wo man früher immer nach durchfeierten Nächten zum Frühstücken war (schon damals hasste ich Frühstücken-Gehen, wollte mich aber keinesfalls ausgrenzen und ging tapfer mit).

Es ist 16 Uhr. Fressenszeit fürs Fräulein. Und dann mal weiter!

Vom Alleinreisen. Ein Prolog.

Wie bitte, du verreist schon wieder allein?
Dann hast du ja unterwegs gar niemanden zum Reden und Teilen der Eindrücke!
Oh Gott, du fährst die ganze Strecke allein mit dem Auto?
Und das auch noch ohne Navi, um Himmels Willen!
Was, du hast ein einsames Holzhäuschen gemietet?
Das kann aber doch sehr gefährlich sein!
Und was machst du bloß, wenn du krank wirst oder dem Hund oder dem Auto etwas passiert?

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Fragen über Fragen, die einem gestellt werden, wenn man mitteilt, dass man „schon wieder“ allein nach Schweden fährt. Na gut, nicht ganz allein, sondern wie immer mit dem Dackelfräulein an Bord, aber das scheint für die besorgten Frager unerheblich zu sein.

Hier nun die gesammelten Antworten:

1. Ja, ich verreise schon wieder allein. Nein, das bereitet mir keinerlei Ängste. Im Gegenteil. Ich bin gern allein. Das war schon in der Kindheit so. Einsam bin ich allerdings nicht gern, leider war ich das als Kind manchmal, später dann aber nicht mehr.

2. Obwohl ich gern kommuniziere, brauche ich nicht dauernd jemanden zum Reden und ich kann Eindrücke auch gut alleine verarbeiten. Oder ich rufe zuhause an. Oder blogge. Nach ca. 14 Tagen Alleinsein beginne ich erfahrungsgemäß etwas häufiger mit dem Hund zu reden. Das funktioniert erstaunlich gut. Sie wissen ja, vor allem, wenn Sie selbst einen Hund haben: der eigene Hund, der versteht jedes Wort (außer Nein und Pfui). Zudem erspürt er jede Stimmung, manchmal sogar noch bevor man sie selbst wahrnimmt. Was man von Menschen wirklich nicht oft behaupten kann.

3. Aus organisatorischen Gründen (Hund, Zwischenstopps, Flexibilität etc.) muss ich mit dem Auto fahren, und obwohl ich nicht mehr so gern fahre wie früher, stört es mich auch nicht weiter, so lange ich nicht im Stau stehen oder auf einer Autofähre in 15 Sekunden zwischen zwei Säulen in eine engen Lücke rückwärts einparken muss.

4. Bislang bin ich wunderbar ohne ein Navi überall hingekommen, wo ich hinwollte und das wird mir hoffentlich auch weiterhin gelingen. Ich liebe Landkarten und präge mir die Strecken ein, bevor ich losfahre, das trainiert das Hirn und das Orientierungsvermögen. Und für Notfälle wie den einen, den es vor fünf Jahren mal nachts bei Regen in Malmö gab, hat man ja GoogleMaps.

5. In einsamen Holzhäuschen (und auch sonst überall) nehme ich meinen furchtlosen kleinen Löwen mit ins Bett, und falls je ein Schurke daherkäme, würde der in tausend Stücke gerissen werden, so wie auch jede Stubenfliege dran glauben muss, die sich in unser Schlafgemach verirrt. Die Kriminalitätsrate auf Gotland geht zudem gegen Null. Auf dem Land lassen die Menschen nach wie vor ihre Türen unverschlossen, was lediglich Drehbuchautoren zu Morden inspiriert.

6. Mit Krankheiten und anderen Pannen beschäftige ich mich grundsätzlich erst dann, wenn die Situation eintritt. Wir haben 10 Medikamente dabei (7 für mich, 3 für die Hundedame), Pflaster, Pinzette und Zeckenzange (und für größere Operationen eine Stirnlampe, ein Schweizer Taschenmesser und Betaisodona-Tinktur), eine Auslandskrankenversicherungskarte und eine Nummer zur Hotline für die Mobiliätsgarantie unseres Autoherstellers (Instandsetzung binnen vier Stunden, ansonsten Ersatzwagen, so zumindest das Versprechen). Das wird im Falle des Falles schon reichen. Und ansonsten findet sich bestimmt ein netter Schwede mit großem Volvo, der uns und unsere Siebensachen mitnimmt (was ein typisches Intro abgäbe für eine dieser skandinavischen Serien à la „Lund“ oder „Die Brücke“).

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Um das Alleinreisen ranken sich ja zahlreiche Klischees. Eines der beliebtesten ist, dass man das täte, um sich selbst zu finden. Das klingt so, als hätte man sich im Alltag aus Versehen verlegt oder gedankenlos verräumt oder gar völlig verloren. Mag sein, dass manche deshalb allein aufbrechen, um nach sich zu suchen oder sich zu finden oder sich völlig neu zu (er)finden. Auf mich trifft das nicht zu.

Ich reise vor allem deshalb gern allein, weil ich das Einfache und Kompromisslose daran mag. Bei niemandem für eine Unternehmung werben müssen, nur weil ich die unbedingt machen möchte, sich hinsichtlich der Essenszeiten nicht abstimmen müssen, Aufstehen und Aufbrechen, wann man möchte oder spontan alle Pläne wieder ändern und was ganz Anderes machen – oder auch gar nichts. Idiotische Dinge zwischendurch einfach tun können (wie z.B. mitten auf einer Fahrt von A nach B vor dem Landregen in ein Schwimmbad flüchten oder einen ganzen Abend lang im Hotelbett Liebesschnulzen auf DVD angucken), ohne Anfrage, Absprache, Entschuldigung oder das Risiko, jemanden zu verärgern. Und sich auch nicht mit den idiotischen Anwandlungen anderer auseinandersetzen zu müssen.

Leben, Zusammenleben, Arbeit und Alltag funktionieren nur auf Basis von vielen Kompromissen und nahezu täglich muss man fähig sein, diese auch zu schließen. Umso wohltuender ist es, ab und an ein paar Stunden, Tage oder Wochen mal ganz dem eigenen Rhythmus zu folgen und in ungetrübter Selbstbezogenheit ausschließlich nach der eigenen Pfeife zu tanzen.

Mir ist es also beim Alleinreisen nicht darum zu tun, mich zu suchen oder zu finden, weil ich mir abhanden gekommen wäre, sondern ich möchte einfach nur gern etwas Zeit mit mir verbringen. Und zwar mit mir, genau so wie ich eben grad bin – und nicht in einer besseren, zurechtgeurlaubten, sozialkompatiblen und kompromissbereiten Variante meiner selbst, sondern in einer ganz gewöhnlichen Version meiner selbst.

Gelegentlich gerate ich zwar, wenn ich so allein unterwegs bin, in Situationen, die es erfordern, dass ich sozusagen ein wenig an mir herumbasteln muss, mich ausprobieren oder bewähren muss, weil die Szenarien unbekannte sind und Improvisation angesagt ist.

Dieses Ganz-auf-sich-Gestelltsein, das das komplizenlose Unterwegssein zwangsläufig mit sich bringt, ist nicht immer angenehm, gleichwohl ist es lehrreich und spannend. Weil ich mir dadurch noch vertrauter werde und weil mir diese Entdeckungen noch mehr Sicherheit und Auskunft darüber geben können, wer ich bin und was ich kann. Weil ich z.B. feststelle, dass ich gar nicht so ein Morgenmuffel bin wie ich dachte und plötzlich spielend leicht früh aus dem Bett komme, was in skandinavischen Ländern aber auch den grauenhaften Matratzen geschuldet sein könnte. Oder dass ein Tag ohne Kaffee sehr wohl möglich ist, ebenso ein Leben aus dem Koffer oder den Klappkisten und sogar auf engstem Raum. Oder dass ich in der Lage bin, den Dorn auch ganz allein aus der Hundepfote zu entfernen, wenn es denn sein muss. Oder entdecke, wie viele Ideen ich auf einmal habe und wie viel Lust, mir Neues anzusehen und mich einfach durch die Fremde treiben zu lassen. Wie viel Neugier da doch in mir ist, die ich im Alltag oft gar nicht so deutlich bemerke, weil drumherum eben alles so vertraut ist. Und ich freue mich auf Reisen immer wieder darüber, wie wenig ich an manchen Tagen „brauche“ (an Input, Kontakt, Essen, Aktivitäten, Konsum etc.), um abends sagen zu können: Das war ein verdammt toller Tag!

Genauso stelle ich aber fest, wie blöd es ist, wenn man niemanden hat, mit dem man Geplantes oder Erlebtes, Schönes oder Schwieriges ad hoc besprechen und Lustiges oder Trauriges sofort teilen kann. Oder den man anmaulen kann, wenn der Tag überhaupt kein guter war, was eigentlich auf jeder längeren Reise mal der Fall ist. Es ist doof, wenn keiner da ist, dem man die Schuld für die erfolglose Suche nach einem Lokal und den Granatenhunger, der daraus resultiert und einem die Laune dann total versaut, in die Schuhe schieben kann.
Für jedes Missgeschick, jeden Defekt, jede Vergesslichkeit und jeden Hundedurchfall allein die Verantwortung tragen zu müssen, das ist einfach nur unangenehm und manchmal sogar richtig beschissen.

Dennoch war es jedesmal eine gute Erfahrung für mich, allein unterwegs zu sein, es macht mir überwiegend Freude, mich bei Solo-Touren durch fremde Gefilde besser kennenzulernen. Ohne Gesellschaft und permanenten Vertrauenspuffer im Gepäck bzw. auf dem Beifahrersitz funktioniert das tatsächlich besser. Zumindest für eine begrenzte Zeit.

Nach ein paar Wochen will ich dann ja sowieso immer wieder gern nachhause. Weil ich viel zu verwurzelt bin in meiner Heimat und sie und meine Menschen dort viel zu sehr liebe, um sie länger verlassen zu können.

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Ein großer Dank an den Gatten, dass er das alles nicht nur weiß und hinnimmt, sondern es versteht und mich machen lässt.

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