Ankomst!

Ein alter Rock ’n‘ Roll-Fetzen von Mott the Hoople begleitete mich heute über die Große-Belt-Brücke. Das lag an der Shuffle-Funktion und war somit Zufall – ich hatte keinen besonderen Song ausgewählt, so schön diese Brücke auch ist.

Nicht so auf der Öresundbrücke, da lief „Across the border“, so wie die letzten beiden Male auch. Weil das die Brücke meines Lebens ist. Keine fand ich je schöner, keine hatte je eine größere Bedeutung für mich.

Da glitzert fast acht Kilometer lang links und rechts das Wasser, man nähert sich ganz langsam dieser grandiosen Konstruktion aus Schrägseilpfeilern, fährt dann mitten durch die hindurch, links hinten am Horizont ragt knallweiß der Turning Torso von Malmö in den schwedischen Himmel hinein, davor strahlt der Ribersborgstrand, rechts hinten funkelt der Bunkeflostrand, den ich nur wegen seines wunderbaren Namens erwähnen möchte, und zum Glück ist die Brücke sehr lang, weil von den 7,8 Kilometern sehe ich mindestens auf 5 Kilometern all diese Schönheit um mich herum ja nur wie durch einen Schleier, denn so wie bei den ersten beiden Überquerungen heule ich auch beim dritten Mal sofort los als ich die Pfeiler, das Meer und den Turning Torso erblicke und Bruce währenddessen diesen Wahnsinns-Song singt, und frage mich, in wie vielen der 17.000 Kfz, die täglich diese Brücke passieren, wohl noch jemand sitzt, dem es so geht, und dann würge ich die Musik ab, um eine dieser Tränenintensivierungsquellen augenblicklich abzuklemmen, schließlich muss ich ja noch auf die Straße gucken können, aber das Abschalten der Musik hilft nicht allzu viel und so komme ich ziemlich verheult auf der anderen Seite, in Schweden, an, wo mich prompt nach dem Abkassieren der Brückenmaut, was leider mittlerweile kein Mensch mehr macht, erst recht nicht Dr. T., eine Anspielung, die man jetzt nicht verstehen muss, weil sie auf einem Traum basiert, sondern nur noch eine schnöde Maschine, ein schwedischer Zollbeamter irritiert anschaut, obwohl ich mich echt bemühe, ein Lächeln aufzusetzen, aber das scheint auch nichts zu nützen, denn er fragt trotzdem, ob alles ok ist und wo ich herkomme und wo ich hinwill und guckt auf meinen Ausweis, von dem ihn ein Blondchen anguckt, das nicht mehr viel mit mir zu tun hat, der Rest des Ausweises allerdings umso mehr, und als er mir den Ausweis durchs offene Fenster wieder hineinreicht, da reicht es dem bis dahin friedlich schlummernden Fräulein endgültig mit den Behelligungen durch fremde Männer und sie wufft sehr ungnädig und sehr hörbar, weshalb der Zollbeamte überhaupt erst den Hund auf der Rückbank bemerkt und dann tatsächlich nach dessen Einfuhrbescheinigung fragt, klar, von so einem Löwen wollen sie schon die Papiere sehen im friedliebenden Schweden, also muss ich doch zur Seite fahren und die Zollbescheinigung aus meiner Mappe rausfummeln, in der ich ordentlichst alle Papiere für die ganze lange Reise verwahre, aber es sind halt eine ganze Menge Blätter, also dauert es ein wenig, was dem Zollbeamten etwas Leerlauf beschert und ihn auf die Idee bringt, mal in den Kofferraum gucken zu wollen, denn wo ein Löwe an Bord ist, ist vielleicht die Anaconda nicht mehr weit, also steige ich auch noch aus und öffne die Heckklappe, und sofort hat man ja sowas wie ein inneres Zittern und ein schlechtes Gewissen wegen der Kiste Weißbier da hinten drin, obwohl man weiß, dass das ja keine 20 Fässer Schnaps oder 20 Säcke Kokain sind, sondern ein harmloser Kasten mit 20 Flaschen Bier, aber trotzdem, wenn ein Uniformierter in den Kofferraum schauen will, geht die Pumpe sofort schneller, und schon fragt er mich nach Alkohol und Zigaretten und anything to declare, ob und wenn ja, wie viel, ich zeige ihm willig den blauen Träger, nicht den meines BHs, sondern den, in dem noch 18 Flaschen Schneider Weiße TAP7 stehen, erst 1 getrunken und 1 der Braunschweiger Freundin geschenkt, damit die mal ein richtig gutes, bayrisches Weizen, wie sie’s ganz unbayrisch nennt, zu trinken bekommt, und der Zöllner guckt, wie ich meine, schwer neidisch auf das Importgut und nickt dann, und ich erkundige mich pseudo-beflissen und mir die letzten Tränen von der Wange wischend, wie viel Bier man eigentlich mitnehmen dürfe, denn so ein Eigenbedarf ist ja recht relativ und bemisst sich ja stark an der geplanten Verweildauer, aber zu meiner Entlastung erfahre ich, dass ich bereits für einen Tag Aufenthalt in Schweden eine ganze Kiste Bier einführen dürfte, na Prosit, das packt vielleicht ein Schwede, denke ich, und muss dann lachen, der Beamte lacht jetzt auch und nun darf ich wieder einsteigen und weiterfahren und bin etwas vergrätzt, weil man ja nicht mal mehr in Ruhe seine Ergriffenheitstränchen vergießen und diese hochemotionalen Minuten des Grenzübertritts auf dieser Wahnsinnsbrücke und des Ankommens in Schweden ungestört zelebrieren kann, aber wenigstens ist es mir nun möglich, den Bruce-Song zuende zu hören ohne wegen Blindheit gegen die Leitplanke zu fahren.

Vielleicht gibt’s nachher noch ein paar Fotos von den nicht verheulten Momenten des Tages, aber jetzt möchte das Dackelfräulein nochmal hinunter an den Hundestrand.

Von der schwedischen Westküste senden wir ganz herzliche Grüße!

Tonight my bag is packed
Tomorrow I’ll walk these tracks
That will lead me across the border

Tomorrow my love and I
Will sleep ’neath auburn skies
Somewhere across the border

We’ll leave behind my dear
The pain and sadness we found here
And we’ll drink from the Bravo’s muddy water

Where the sky grows gray and wide
We’ll meet on the other side
There across the border

For you I’ll build a house
High upon a grassy hill
Somewhere across the border

Where pain and memory
Pain and memory have been stilled
There across the border

And sweet blossoms fill the air
Pastures of gold and green
Roll down into cool clear waters

And in your arms ’neath open skies
I’ll kiss the sorrow from your eyes
There across the border

Tonight we’ll sing the songs
I’ll dream of you my corazón
And tomorrow my heart will be strong

And may the saints‘ blessing and grace
Carry me safely into your arms
There across the border

7 Gedanken zu „Ankomst!

  1. Der Ingenieur stellt mit Staunen fest:“Was für eine Kausalkette … !“
    … und der Commentatore daraufhin:“ … aber gottseidank mit Happy-End!“ 😉

    Ich wünsch‘ den beiden Damen eine angenehme erste Nacht in Sverige!
    Spike
    p.s.: Ich glaub ich laß mir eine Brille mit automatischer Tränenabsaugung patentieren …

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  2. Tack. Tack. Schöner Beitrag!
    Du hast aber während des Schreibens wenigstens hin und wieder geatmet, mit viel Komma, wenig Punkt… mannmannmann?
    Und ja… es gibt so Lieder, mit denen verbindet man eben etwas ganz Spezielles, und das rührt dann wie auf Knopfdruck zu Tränen…. Nachti..🤗

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    • God morgon aus Helsingborg! Die Erzählweise des stream of consciousness verwende ich äußerst sparsam und nur für ausgewählte Erlebnisse, aber für die 25 Minuten meines gestrigen Tages erschien es mir recht passend 🤓
      Ich grüße dich aus dem Frühstücksraum mit Blick auf den sich langsam auflösenden Küstenmorgennebel und nach reichlicher Überforderung durch 12 verschiedene milchartige Produkte im Tetrapack (neben den Müslipötten platziert). Liebe Grüße!

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  3. Pingback: Ankomst! | Kraulquappe

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