Vom Alleinreisen. Ein Prolog.

Wie bitte, du verreist schon wieder allein?
Dann hast du ja unterwegs gar niemanden zum Reden und Teilen der Eindrücke!
Oh Gott, du fährst die ganze Strecke allein mit dem Auto?
Und das auch noch ohne Navi, um Himmels Willen!
Was, du hast ein einsames Holzhäuschen gemietet?
Das kann aber doch sehr gefährlich sein!
Und was machst du bloß, wenn du krank wirst oder dem Hund oder dem Auto etwas passiert?

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Fragen über Fragen, die einem gestellt werden, wenn man mitteilt, dass man „schon wieder“ allein nach Schweden fährt. Na gut, nicht ganz allein, sondern wie immer mit dem Dackelfräulein an Bord, aber das scheint für die besorgten Frager unerheblich zu sein.

Hier nun die gesammelten Antworten:

1. Ja, ich verreise schon wieder allein. Nein, das bereitet mir keinerlei Ängste. Im Gegenteil. Ich bin gern allein. Das war schon in der Kindheit so. Einsam bin ich allerdings nicht gern, leider war ich das als Kind manchmal, später dann aber nicht mehr.

2. Obwohl ich gern kommuniziere, brauche ich nicht dauernd jemanden zum Reden und ich kann Eindrücke auch gut alleine verarbeiten. Oder ich rufe zuhause an. Oder blogge. Nach ca. 14 Tagen Alleinsein beginne ich erfahrungsgemäß etwas häufiger mit dem Hund zu reden. Das funktioniert erstaunlich gut. Sie wissen ja, vor allem, wenn Sie selbst einen Hund haben: der eigene Hund, der versteht jedes Wort (außer Nein und Pfui). Zudem erspürt er jede Stimmung, manchmal sogar noch bevor man sie selbst wahrnimmt. Was man von Menschen wirklich nicht oft behaupten kann.

3. Aus organisatorischen Gründen (Hund, Zwischenstopps, Flexibilität etc.) muss ich mit dem Auto fahren, und obwohl ich nicht mehr so gern fahre wie früher, stört es mich auch nicht weiter, so lange ich nicht im Stau stehen oder auf einer Autofähre in 15 Sekunden zwischen zwei Säulen in eine engen Lücke rückwärts einparken muss.

4. Bislang bin ich wunderbar ohne ein Navi überall hingekommen, wo ich hinwollte und das wird mir hoffentlich auch weiterhin gelingen. Ich liebe Landkarten und präge mir die Strecken ein, bevor ich losfahre, das trainiert das Hirn und das Orientierungsvermögen. Und für Notfälle wie den einen, den es vor fünf Jahren mal nachts bei Regen in Malmö gab, hat man ja GoogleMaps.

5. In einsamen Holzhäuschen (und auch sonst überall) nehme ich meinen furchtlosen kleinen Löwen mit ins Bett, und falls je ein Schurke daherkäme, würde der in tausend Stücke gerissen werden, so wie auch jede Stubenfliege dran glauben muss, die sich in unser Schlafgemach verirrt. Die Kriminalitätsrate auf Gotland geht zudem gegen Null. Auf dem Land lassen die Menschen nach wie vor ihre Türen unverschlossen, was lediglich Drehbuchautoren zu Morden inspiriert.

6. Mit Krankheiten und anderen Pannen beschäftige ich mich grundsätzlich erst dann, wenn die Situation eintritt. Wir haben 10 Medikamente dabei (7 für mich, 3 für die Hundedame), Pflaster, Pinzette und Zeckenzange (und für größere Operationen eine Stirnlampe, ein Schweizer Taschenmesser und Betaisodona-Tinktur), eine Auslandskrankenversicherungskarte und eine Nummer zur Hotline für die Mobiliätsgarantie unseres Autoherstellers (Instandsetzung binnen vier Stunden, ansonsten Ersatzwagen, so zumindest das Versprechen). Das wird im Falle des Falles schon reichen. Und ansonsten findet sich bestimmt ein netter Schwede mit großem Volvo, der uns und unsere Siebensachen mitnimmt (was ein typisches Intro abgäbe für eine dieser skandinavischen Serien à la „Lund“ oder „Die Brücke“).

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Um das Alleinreisen ranken sich ja zahlreiche Klischees. Eines der beliebtesten ist, dass man das täte, um sich selbst zu finden. Das klingt so, als hätte man sich im Alltag aus Versehen verlegt oder gedankenlos verräumt oder gar völlig verloren. Mag sein, dass manche deshalb allein aufbrechen, um nach sich zu suchen oder sich zu finden oder sich völlig neu zu (er)finden. Auf mich trifft das nicht zu.

Ich reise vor allem deshalb gern allein, weil ich das Einfache und Kompromisslose daran mag. Bei niemandem für eine Unternehmung werben müssen, nur weil ich die unbedingt machen möchte, sich hinsichtlich der Essenszeiten nicht abstimmen müssen, Aufstehen und Aufbrechen, wann man möchte oder spontan alle Pläne wieder ändern und was ganz Anderes machen – oder auch gar nichts. Idiotische Dinge zwischendurch einfach tun können (wie z.B. mitten auf einer Fahrt von A nach B vor dem Landregen in ein Schwimmbad flüchten oder einen ganzen Abend lang im Hotelbett Liebesschnulzen auf DVD angucken), ohne Anfrage, Absprache, Entschuldigung oder das Risiko, jemanden zu verärgern. Und sich auch nicht mit den idiotischen Anwandlungen anderer auseinandersetzen zu müssen.

Leben, Zusammenleben, Arbeit und Alltag funktionieren nur auf Basis von vielen Kompromissen und nahezu täglich muss man fähig sein, diese auch zu schließen. Umso wohltuender ist es, ab und an ein paar Stunden, Tage oder Wochen mal ganz dem eigenen Rhythmus zu folgen und in ungetrübter Selbstbezogenheit ausschließlich nach der eigenen Pfeife zu tanzen.

Mir ist es also beim Alleinreisen nicht darum zu tun, mich zu suchen oder zu finden, weil ich mir abhanden gekommen wäre, sondern ich möchte einfach nur gern etwas Zeit mit mir verbringen. Und zwar mit mir, genau so wie ich eben grad bin – und nicht in einer besseren, zurechtgeurlaubten, sozialkompatiblen und kompromissbereiten Variante meiner selbst, sondern in einer ganz gewöhnlichen Version meiner selbst.

Gelegentlich gerate ich zwar, wenn ich so allein unterwegs bin, in Situationen, die es erfordern, dass ich sozusagen ein wenig an mir herumbasteln muss, mich ausprobieren oder bewähren muss, weil die Szenarien unbekannte sind und Improvisation angesagt ist.

Dieses Ganz-auf-sich-Gestelltsein, das das komplizenlose Unterwegssein zwangsläufig mit sich bringt, ist nicht immer angenehm, gleichwohl ist es lehrreich und spannend. Weil ich mir dadurch noch vertrauter werde und weil mir diese Entdeckungen noch mehr Sicherheit und Auskunft darüber geben können, wer ich bin und was ich kann. Weil ich z.B. feststelle, dass ich gar nicht so ein Morgenmuffel bin wie ich dachte und plötzlich spielend leicht früh aus dem Bett komme, was in skandinavischen Ländern aber auch den grauenhaften Matratzen geschuldet sein könnte. Oder dass ein Tag ohne Kaffee sehr wohl möglich ist, ebenso ein Leben aus dem Koffer oder den Klappkisten und sogar auf engstem Raum. Oder dass ich in der Lage bin, den Dorn auch ganz allein aus der Hundepfote zu entfernen, wenn es denn sein muss. Oder entdecke, wie viele Ideen ich auf einmal habe und wie viel Lust, mir Neues anzusehen und mich einfach durch die Fremde treiben zu lassen. Wie viel Neugier da doch in mir ist, die ich im Alltag oft gar nicht so deutlich bemerke, weil drumherum eben alles so vertraut ist. Und ich freue mich auf Reisen immer wieder darüber, wie wenig ich an manchen Tagen „brauche“ (an Input, Kontakt, Essen, Aktivitäten, Konsum etc.), um abends sagen zu können: Das war ein verdammt toller Tag!

Genauso stelle ich aber fest, wie blöd es ist, wenn man niemanden hat, mit dem man Geplantes oder Erlebtes, Schönes oder Schwieriges ad hoc besprechen und Lustiges oder Trauriges sofort teilen kann. Oder den man anmaulen kann, wenn der Tag überhaupt kein guter war, was eigentlich auf jeder längeren Reise mal der Fall ist. Es ist doof, wenn keiner da ist, dem man die Schuld für die erfolglose Suche nach einem Lokal und den Granatenhunger, der daraus resultiert und einem die Laune dann total versaut, in die Schuhe schieben kann.
Für jedes Missgeschick, jeden Defekt, jede Vergesslichkeit und jeden Hundedurchfall allein die Verantwortung tragen zu müssen, das ist einfach nur unangenehm und manchmal sogar richtig beschissen.

Dennoch war es jedesmal eine gute Erfahrung für mich, allein unterwegs zu sein, es macht mir überwiegend Freude, mich bei Solo-Touren durch fremde Gefilde besser kennenzulernen. Ohne Gesellschaft und permanenten Vertrauenspuffer im Gepäck bzw. auf dem Beifahrersitz funktioniert das tatsächlich besser. Zumindest für eine begrenzte Zeit.

Nach ein paar Wochen will ich dann ja sowieso immer wieder gern nachhause. Weil ich viel zu verwurzelt bin in meiner Heimat und sie und meine Menschen dort viel zu sehr liebe, um sie länger verlassen zu können.

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Ein großer Dank an den Gatten, dass er das alles nicht nur weiß und hinnimmt, sondern es versteht und mich machen lässt.

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14 Gedanken zu „Vom Alleinreisen. Ein Prolog.

  1. Wunderbar geschrieben! „Leider“ reise ich ziemlich wenig alleine, weil Wolfgang einfach genau so gerne reist wie ich und immer dabei sein will 😉 Und nur zu gerne überlasse ich ihm dann die kleinen und größereren Operationen und Reparaturen, was auch was für sich hat. Aber ich weiß genau, was du meinst. Ich finde nämlich auch, dass man alleine das Erlebte noch intensiver wahrnimmt und noch mal ganz neue Seiten an sich kennen lernt – ohne danach zu suchen und manchmal auch,wenn man einfach alleine dasitzt 😉 Gute Reise, liebe Natascha!

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    • Alleine dasitzend und ziemlich verschwitzt sende ich dir ein „Herzlich willkommen auf meinem Reiseblog“ und – sofern ich heute noch mein Quartier in Hann. Münden erreiche – vorfreudige Grüße auf das gemeinsame Gassi morgen!

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  2. Wieder ein Hammer Bericht von dir😍👍könnte ich stundenlang lesen und eintauchen. Hab mich gern angemeldet, denn möchte dabei sein virtuell. Meinen grossen Respekt an dich, das du allein reist ins Unbekannte, denn ich bin in der Hinsicht ein Schisser😁
    Finde es mega Süss mit deiner Dackeldame….habe selbst 2 Hunde, bin aber mit Dackels aufgewachsen😍
    Lg
    Sandra

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  3. Dann hinterlasse ich hier auch mal eine erste Fußspur am Strand des Gotland-Reiseblogs …
    Ich kann mich der werten Vorrednerin nur anschließen: Die skandinavische Eröffnung ist absolut gelungen, alle Fragen eloquent und vollumfänglich – um das mißverständliche „erschöpfend“ zu vermeiden – beantwortet, der Leser bildlich gesprochen in 6 Zügen schachmatt … ;o)
    Und Deine Ausführungen über das Alleinreisen machen – auch wenn man selbst so gar nicht dafür gestrickt ist – ein wenig neidisch auf diese Unabhängigkeit …
    Die Einleitung weckt große Vorfreude auf das, was folgen wird … ich reise gerne mit!
    Ach ja: Zu Frage 3 möchte ich anmerken, daß das Automobil das angemessene Reisevehikel für eine Autorin ist … oder nicht?
    Ein liebes Dankeschön für’s mitreisen-lassen!
    Spike

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  4. Liebe Frau Kraulquappe,
    Du schreibst mir aus der Seele! In meiner Schublade, besser: in einem Ordner namens „blog ideen“ auf meinem Laptop, schlummert ein mehr als zwei Jahre alter Text, der sich hauptsächlich für das Alleine Verreisen einsetzt, aber ich habe mich noch nicht dazu entschlossen, ihn ans Licht zu bringen.
    Dennoch ziehe ich vor Dir den Hut, mit dem Auto kilometerweit in ein Land zu fahren, dessen Sprache mir kaum vertraut ist. Aber mensch wächst mit den Herausforderungen!
    Ich freue mich auf das virtuelle Mitreisen und schicke Euch liebe Grüße aus Wien,
    S.

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    • Liebe Frau Sori1982,
      das ahnten wir ein bisschen, dass Sie uns verstehen können und uns zumindest nicht deswegen für schräge Vögel halten… (auf Ihre Auslassungen zu der Thematik wäre ich durchaus neugierig)
      Gerade teste ich die niedersächsische Braukunst und habe nach mehreren Fahrten gen Norden endlich die Lösung für meine jenseits des Weißwurstäquators nur durchschnittlich vorhandenen Fertigkeit im Weißbierbrauen gefunden (worauf ich nun mit mir selbst anstoße): Man muss ein dunkles Weißbier bestellen – das kommt der Schneider Weißen TAP7 am nächsten! Heureka!
      Das Fräulein und ich senden dir zufriedene Grüße nach Wien und freuen uns, dass auch du uns begleitest!

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